Ein verstörend gegenwärtiger Heine
Detlev Rose und Christian Georgi legten ganz neue Bezüge und Zusammenhänge offen.
Lage- Hörste (NV).
Mit Texten und Vertonungen, immer wieder von aktuellen Anmerkungen unterbrochen, führten Detlev Rose und Christian Georgi die Heine- Kenner im Publikum zu Aha- Erlebnissen und die Nichtkenner zu überraschenden Einsichten. In Liedern, Gedichten, Prosa und Briefauszügen wurde im ver.di- Institut für Bildung, Medien und Kunst ein fast verstörend gegenwärtiger Dichter erkennbar. Im Hintergrund der kleinen Bühne blickt Heinrich Heine, eine bunte Spottdrossel auf dem Haupt, mit melancholisch verhangenem Ausdruck auf die Verkörperungen seiner beiden Heimatländer Deutschland und Frankreich. Der Abend beginnt mit den leichten Früchten der letzten schweren Jahre, mit Witz und Wahrheit auf absolutem Gipfel. Verlesen wird das Testament, in dem der Todkranke in seiner Pariser „Matratzengruft“ seinen Widersachern alle seine Leiden vermacht. Und das ist ganz jenseits der zahlreichen „Liebchenfein“ und „nassen Äuglein“ angesiedelt, die „das frühe Buch der Lieder“ für manchen Leser der Gegenwart schwer erträglich machen. Die Kombination von Versatzstücken aus bekannten Balladen, Romanzen und Zeitgedichten ist hier keineswegs Frevel am Werk, sondern legt ganz neue Zusammenhänge und Bezüge zur Gegenwart offen. Heine schreckt in seinen reifen Jahren auch nicht vor dem Angriff auf die Religionen und einer drastischen Umschreibung der Schöpfungsgeschichte zurück. Er prangert die Profitgier eines Sklavenschiff- Eigners an, der die Schwarzen an Deck tanzen lässt, damit sie zu seinem Wohl am Leben bleiben. Bei so vielen verblüffenden Neuentdeckungen wird leicht vergessen, dass hier großartige Musiker am Werk sind. In den Kompositionen von Detlev Rose, der für Gitarre und Gesang, Rezitation und Piano steht, zeigt sich die hohe Musikalität der Heineschen Lyrik. Ebenso wie sein Partner hat auch Christian Georgi (Flöte, Saxofon und Midi- Sax) seinerzeit an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin studiert. Sein Können gibt das Duo übrigens auch gern in Schulkonzerten weiter. So wundert es nicht, dass auch im Heinrich- Hansen- Haus das Publikum von Anfang an mit einbezogen wurde. Die hohe Kunst, „aus großen Schmerzen kleine Lieder“ zu machen, hat an diesem Abend wohl manch einen Zuhörer motiviert, sich im Werk des vor 150 Jahren verstorbenen Dichters auf Entdeckungsreise zu begeben.